Demenz verstehen: Warum die Oma keine neuen Kleider will

Demenz verstehen - Teil 7 -Pflegebedürftig sind Menschen, welche nicht (oder nicht mehr) ihren Lebensunterhalt selbstständig kompensieren oder bewältigen können
Pflegebedürftig sind Menschen, welche nicht (oder nicht mehr) ihren Lebensunterhalt selbstständig kompensieren oder bewältigen können

„Nächste Woche zieht Oma ins Heim, wir müssen unbedingt neue Wäsche besorgen! Mit den zerschlissenen Nachthemden und der unmodernen Unterwäsche kann sie dort auf keinen Fall ankommen!“

So oder so ähnlich denken vermutlich viele Familienangehörige, wenn ein Umzug für ein hochbetagtes Familienmitglied ansteht. Mit einem nicht verwirrten alten Menschen mag man die Situation besprechen können, aber bei einem dementen Familienmitglied rate ich von einem Neukauf jedweder Sachen ab.

Autorin: Brita Wellnitz, eine Fachfrau rund um das Thema DEMENZ.*

WARUM ist das so?

Bitte packen Sie das Lieblingsnachthemd ein, auch wenn es noch so zerschlissen ist. Nähen (also reparieren) Sie es, damit es noch einige Zeit hält! Und kaufen Sie keine neuen Schlüpfer, sondern packen die ein, die am meisten getragen aussehen, die die Oma also vermutlich immer an hatte.

Und ganz genauso verfahren Sie mit der restlichen Kleidung.

Warum aber nichts Schickes, Neues kaufen??

Betrachten wir die Situation, wie sie nach Einzug ins Seniorenheim stattfinden könnte:


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Oma ist eingezogen. Unabhängig von allem Trubel und den ganzen neuen Eindrücken ist es doch irgendwann Abend geworden. Sie als Angehörige sind schon auf dem Weg in ihr Zuhause, die Pflegekräfte im Seniorenheim möchten Oma nun ins Bett helfen.

Es ist für die demente Person ohnehin schwer zu akzeptieren, in einer neuen Umgebung ins Bett gehen zu müssen und nicht „nach Hause“ zu dürfen. Jetzt aber auch noch Nachtwäsche anziehen zu müssen, die ihr (vermeintlich) nicht gehört – das geht gar nicht!

Und genau das ist es, was Ihr dementes Familienmitglied denken wird: „Dieses Nachthemd gehört mir nicht!“ Weil es nicht erkannt wird. Es ist viel zu neu, als dass es als eigenes erkannt oder akzeptiert werden würde.

Wenn jetzt die Pflegekraft auch noch ein wenig unerfahren mit dem Umgang mit Menschen mit Demenz ist, beginnt schnell ein kleiner Streit, der eskalieren kann. Die Pflegekraft wird argumentieren: „Schauen Sie doch, ich habe es hier aus Ihrem Schrank geholt. Es ist das Nachthemd, das Ihre Tochter für Sie mitgebracht hat. Natürlich ist das Ihres!“

Und die Oma wird kontern: „Ich werde doch wohl noch meine Nachthemden kennen, dieses ist jedenfalls nicht meins, das können Sie sonstwohin tun, ich zieh es jedenfalls nicht an…..“

Wir wollen nicht annehmen, dass es nun zu Gewalt beim Umziehen kommt, wenn sich unser Familienmitglied mit Händen und Füßen gegen das Anziehen des Nachthemdes wehrt, schreit, kratzt und haut, die Pflegekräfte aber ihre Arbeit beenden wollen, weil es ja noch mehr Bewohner gibt, die ebenfalls Hilfe brauchen….

Die bessere Alternative

Wieviel einfacher wäre die Situation für die Pflegekraft, wenn es beim Nachthemd keine Probleme gäbe, weil es als eigenes – evtl. als Lieblingsteil – erkannt wird. Weil man sich hinterher vielleicht sogar in ein Bett legen darf, was einem irgendwie fremd vorkommt, worin man aber die eigene kuschlige Lieblingsbettwäsche erkennt…

Unser dementes Familienmitglied müßte dann nicht streiten und wird dankbar sein für jedes Stück, was es kennt, welches ihm selbst gehört, was ein Stück Heimat darstellt.

Genauso verhält es sich mit den Kleidungsstücken für den nächsten Tag. Angefangen beim Schlüpfer, über das Unterhemd, die Bluse, den Rock….

Alles, einfach alles sollten die gewohnnten Sachen sein und keine neu gekauften! Und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, auf Anweisung des Heimpersonals anderes zu kaufen: z.B. bequeme Jogginghosen und übergroße Pullis. Diese vereinfachen zwar die Arbeit des Personals, tragen aber keinesfalls zum Wohlfühlen Ihres Angehörigen bei!

Ihr dementes Familienmitglied hat ein Recht darauf, die Sachen zu tragen, die es sein ganzes Leben getragen hat. Und wenn Opa immer Anzüge an hatte, dann darf er auch im Heim immer Anzüge tragen. Das Personal sollte ihm stattdessen helfen, eine Krawatte zu binden, als dass Sie sich überreden lassen, für ihn Jogginghosen zu kaufen.

Evtl. kann man einen Kompromiss finden und eine Schlupfhose mit Bügelfalte kaufen und bei Gelegenheit gegen die Anzughose austauschen, wenn damit z.B. der selbstständige Toilettengang erhalten werden kann. Aber keineswegs sollte unserem Familienmitglied sein Kleiderstil genommen werden.

Kleider machen Leute

Hat Oma immer BH und Dirndl getragen, sollte sie das auch weiterhin tun. Hat sie sich viermal täglich umgezogen? Dann prüfen Sie die neue Heimat der Oma auf Herz und Nieren: hilft man ihr, sich umzuziehen, wenn sie es möchte? Hilft man ihr, sich eine Kittelschürze anzuziehen, wenn sie ein wenig „Hausarbeit“ machen möchte?

Schauen Sie darauf und legen Sie Wert darauf, dass man Ihren Angehörigen im Altersheim so kleidet, wie er es selbst tun würden.

Z.B. war es bei vielen unserer älteren Familienmitglieder selbstverständlich, sich am Sonntag besonders schick anzuziehen. Es ist ihr Leben gewesen und es gebieten der Anstand und die Würde, dass diese wenigen Sachen so beibehalten werden, wie es unsere Familienmitglieder gewohnt waren.



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So vieles geht ohnehin verloren, aber die Wahl der Kleidung, der Kleiderstil, die eigene Kleiderordnung, können mit ein wenig gutem Willen als ein Stück der Persönlichkeit erhalten werden!

Am Ende kommt das Entgegenkommen bei der Kleiderwahl nicht nur unserem dementen Familienmitglied zu Gute, denn das Pflegepersonal profitiert bei richtiger Betrachtungsweise auch davon. Die An- und Auskleidesituation wird viel entspannter sein, wenn es sich um die gern getragenen Kleidungsstücke und die geliebte Nachtwäsche handelt.

Ein Kleidungswechsel mitten am Tag, weil er zwischendurch von unserem Angehörigen gewünscht wird, bietet für das Pflegepersonal z.B. ganz nebenbei die Möglichkeit einer Körperkontrolle auf Wunden, Rötungen der Haut, Zustandskontrolle der Haut und gefährdeter Stellen…. Tätigkeiten, die sonst evtl. gegen den Willen des Bewohners durchgeführt werden, weil sie sonst üblicherweise gemacht werden, wenn der Pflegende will.

„Kleider machen Leute!“ – viele Menschen identifizieren sich auch über ihren Kleidungsstil und die Auswahl ihrer Textilien:

  • ein Bauer mag am liebsten seine karierten Hemden und groben Hosen
  • eine feine Dame Blusen und Plisseerock
  • eine Mutter vieler Kinder lief vielleicht immer in Kittelschürze und mit Küchenhandtuch herum
  • und der Geschäftsführer trug immer einen Anzug
  • die eine Frau trägt niemals Hosen
  • die andere bloß keine Röcke!

Sie alle sollten genau so auch an ihrem Lebensabend gekleidet sein dürfen!!

Sorgen Sie dafür, dass sich Ihr Familienmitglied nicht noch zusätzlich verliert, weil wir ihm ein Stück seiner selbst nehmen, sondern helfen Sie ihm, ein kleines Stück seiner Identität zu bewahren! Und es handelt sich nicht nur um eine äußere Hülle, sondern es geht ums „Wohl fühlen“ – eine Herzensangelegenheit!

Fazit

Natürlich kann es vorkommen, dass sie mal einige Textilien ersetzen müssen. Vielleicht verstehen Sie jedoch nun besser, worauf es beim Neukauf ankommt: Schaffen Sie nichts nach Ihrem Geschmack an, sondern tauschen Sie möglichst detailgetreu das Kleidungsstück aus, welches Sie ersetzen müssen. Kaufen Sie etwas identisches oder sehr ähnliches.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Demenz-Serie. Weitere Beiträge:


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Quelle Bildmaterial: Fotolia #57854388  © Robert Kneschke

Fachautorin

Website zu Brita Wellnitz

3 Antworten auf „Demenz verstehen: Warum die Oma keine neuen Kleider will“

Bei unserer Oma war das so, dass sie auch neue Kleider ablehnte. Sie hat immer gemeint, es würde sich nicht mehr lohnen., für sie noch Geld auszugeben…..Wenn wir dann aber sagten, dass wir die einen oder anderen Sachen von Tante x oder Freundin Y bekommen haben und die sonst in die Altkleiderkammer kämen, meinte sie, dass die doch viel zu schade dafür sein und sie die in dem Fall lieber nehmen würden.
Reaktionen sind nicht immer nachvollziehbar, aber wenn es dem guten Zweck dient, kann/muss man auch mal flunkern.
Ansonsten bin ich nicht für´s Flunkern… Denn Demente haben auch lichte Momente und merken, dass sie angelogen werden und verlieren somit vielleicht das Vertrauen.
Unserer Oma haben wir deshalb immer lieber die Wahrheit gesagt. Diese ggf. etwas abgemildert, aber dennoch….. Ich denke, es kommt auf den Zustand der dementen Person an. Jeder braucht sicher eine individuelle Umgangsweise. Wohl dem, dessen Angehörige diese in irgendeiner Weise herausfinden können. Alles viel Geduld…. Unsere Oma hat früher nie über “alte Menschen” geschimpft, sondern immer gesagt, man wisse ja nie, wie man selbst einmal werden würde. … Und siehe da: aus unserer einst sehr intelligenten, empathischen, sozial absolut kompetenten Oma wurde nunmehr eine demente Dame….
Also: es kann uns alle treffen…. Wie würden wir behandelt werden wollen?

Lesen Sie bitte diesen Beitrag aus Sicht eines Menschen mit Demenz und seinen Angehörigen, die in einer Situation sind, wo sie die Aktionen des erkrankten Menschen nicht mehr einschätzen können!

Nicht jeder an Demenz erkrankte Mensch ist gleich. Auch gesunde Menschen sind nicht gleich. Aber gerade bei Menschen mit Demenz muss man jede Reaktion hinterfragen. Und EIN Grund kann sein, dass die kranken Menschen deshalb keine neuen Kleider AKZEPTIEREN, weil sie sich darin nicht wiedererkennen.
Ganz ehrlich: Wenn jemand neue Kleider will und sich darin wohl fühlt, wären wir die Letzten, die sagen, dass keine neuen Kleider angeschafft werden sollen.

Das ist doch absoluter Blödsinn, dem Menschen nichts Neues zu kaufen. Meine Mutter ist froh darüber wenn sie was Neues bekommt, hinterher, weil sie selbst nicht ausser Haus geht und keine Anstrengungen macht, sich etwas zu bestellen.

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