Kolumne
Dipl. Ges. Oec. (FH) Jennifer Ann Steinort
Medizin- und Familienjournalistin
Aktualisiert am 08.04.2025
274 mal angesehen

Liebe Fürsorgenden und Umsorgten,

kennen Sie das Phänomen des schlechten Gewissens im Pflegealltag? Die Haustür Ihres Angehörigen ist zu, endlich ist Zeit für die eigenen Belange, den eigenen Lebensentwurf. Doch kaum ist die Tür ins Schloss gefallen, meldet sich das schlechte Gewissen: Ist es wirklich richtig, dass du dich so fühlst, als hättest du Feierabend? Darf man die Pflege Angehöriger als eine Art Arbeit betrachten?

Die quälenden Gedanken begleiten Sie vielleicht auch quer durch die Freizeit. Möglicherweise können Sie sich an Ihren Aktivitäten nicht richtig erfreuen, weil Sie denken, dass dieser Ausflug Ihrem Familienmitglied ebenfalls Spaß machen könnte oder Sie wissen, dass in der Zeit ein ambulanter Pflegedienst oder ein Betreuungsdienst Aufgaben übernimmt, die auch Sie durchführen könnten. Oft hört die griesgrämige Stimme auch während der Pflege nicht auf: Ist es in Ordnung, dass ich meinem Angehörigen diesmal eine Suppe aus der Büchse warmgemacht habe, anstatt frisch zu kochen? Vielleicht entsteht das schlechte Gewissen diesmal, weil Sie Ihrem Familienmitglied heute mehr abgenommen haben, als das im Sinne der aktivierenden Pflege eigentlich nötig gewesen wäre – einfach deshalb, weil Sie erschöpft sind und schneller fertig werden wollten.

Die böse, innere Stimme

Viele pflegende Angehörige kennen die innere Stimme, die verurteilt und mit böser Zunge redet. Sie wird oft als quälend empfunden und kann zu Gewissenskonflikten, mit den nur allzu gut bekanntem „Engelchen“ und „Teufelchen“ auf den Schultern führen. Zwar gibt es keine genauen Zahlen darüber, wie viele Menschen tatsächlich mit schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen im Pflegealltag umgehen müssen, aber Pflegeberater berichten davon, dass es sich um ein weitverbreitetes Problem handelt. Doch warum ist diese innere Stimmung, die sich regelmäßig einstellt, und pflegenden Angehörigen vermittelt: Dein Verhalten ist nicht richtig, dafür solltest du dich schlecht fühlen, eigentlich problematisch?

Wie stark ein schlechtes Gewissen Menschen unter Druck setzt, ist natürlich sehr verschieden, die Auswirkungen sind aber oft ähnlich: Personen fühlen sich klein und tragen eine zusätzliche Bürde mit sich herum. Mit großer Wahrscheinlichkeit rauben Ihnen die damit verbundenen Fragen und Überlegungen Energie und genau diese ist im Pflegealltag geradezu heilig, weil sie eine nur langsam „nachwachsende“ Ressource ist.

Weg mit dem schlechten Gewissen!

Sie müssen nicht weiter mit schlechtem Gewissen pflegen – die Annahme, dass es zu der häuslichen Pflege dazugehört, ist Quatsch. Sie können sich stattdessen aktiv dazu entscheiden, zwar mit viel Herz, aber mit weniger schlechten Gefühlen zu haushalten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht so einfach ist, dem schlechten Gewissen ein Schnippchen zu schlagen. Geben Sie sich dem nahezu übermächtigen Gefühl, dieses oder jenes falsch zu machen, aber nicht hin, beschäftigen Sie sich lieber mit den Entstehungsmechanismen. Hierbei geht es zunächst weniger darum, herauszufinden, warum Sie persönlich ein schlechtes Gewissen haben, sondern erstmal um die Theorie.

Wussten Sie, dass sich die negativen Gedanken immer dann einstellen, wenn Ihr Verhalten im Pflegealltag nicht mit dem übereinstimmt, was Sie als richtig empfinden, also mit Ihren Werten? Das schlechte Gewissen ist praktisch das Ergebnis, wenn Sie Ihr eigenes Verhalten verurteilen. An dieser Stelle sollte Ihnen etwas auffallen: Genau, Sie sind Ihr eigener Richter und maßgeblicher Anheizer für die negativen Emotionen. Damit möchte ich Ihnen aber keinen Vorwurf machen, sondern Sie dazu motivieren, es künftig anders zu machen. Sie sollten sich nicht nur Ihrem Angehörigen, sondern auch sich selbst gegenüber verantwortlich fühlen. Wenn Sie die Auszeit nutzen, um durchzuatmen, Freude zu verspüren und um sich selbst ein Stück weit wiederzufinden, ist das genau richtig – meiner Meinung nach übrigens unabhängig davon, wie schlecht es Ihrem Angehörigen gerade gehen mag.

Wenn Sie im Pflegealltag nicht immer das Paradebeispiel für gesunde Ernährung, perfekte Pflegeabläufe und eine gut gelaunte Unterstützungsperson sind, ist das kein Grund für ein schlechtes Gewissen – schließlich pflegen Sie an den meisten Tagen des Jahres ohne Abstriche. Um aus dem Strudel negativer Gedanken zu entkommen, müssen Sie also den Realitätscheck machen und Ihren eigenen Gewissenskompass anpassen, er muss nachgiebiger werden! Bitte seien Sie gut zu sich selbst, auch Sie haben Mitgefühl verdient.

Ihre Jennifer Ann

"Humorvoll, bissig, aber stets mit viel Herz für den Pflegesektor – die Kolumne von Diplom-Gesundheitsökonomin (FH) Jennifer Ann Steinort nimmt sich den wichtigen Themen in der Pflege an. "

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