Kolumne
Dipl. Ges. Oec. (FH) Jennifer Ann Steinort
Medizin- und Pflegejournalistin
Erstellt am 26.05.2025

Liebe Fürsorgenden und Umsorgten,

wenn ich Ihnen den Begriff „Scham“ zuspiele, haben Sie mit großer Wahrscheinlichkeit direkt eine Situation oder ein Gefühl vor Augen. Scham ist in unserem Leben allgegenwärtig. In gewisser Weise handelt es sich dabei um ein Kommunikationsmittel, denn wer sich schämt, dem ist das in der Regel auch anzumerken. Die Signale vermitteln unserem Gegenüber, dass wir uns nicht wohlfühlen und der Gegebenheit gerne entfliehen möchten. Darauf wiederum können Menschen reagieren, genau das sollte auch in der Pflege passieren, wo Scham eine besondere Rolle einnimmt.

Scham schafft ein Zugehörigkeitsgefühl

Auf den ersten Blick scheint Scham ab- oder auszugrenzen. In Wahrheit ist sie aber ein erprobtes Mittel, um zur Gesellschaft dazuzugehören. Schließlich schämen sich Menschen nicht erst seit gestern, sondern bereits seit vielen Jahrhunderten. Der Grundstein dafür wird wahrscheinlich in der Kindheit gelegt. Hier verstehen wir bereits, dass gewisse Verhaltensweisen im sozialen Kontext kritisch beäugt oder abgelehnt werden – mit der Scham signalisiere ich meinen Mitmenschen, dass ich weiß, dass gerade etwas nicht richtig läuft. Das wirkt wie eine Art Leim für das in Mitleidenschaft gezogene Zugehörigkeitsgefühl. Experten unterscheiden übrigens die soziale von der auf den Körper bezogenen Scham – wir können uns beispielsweise für eine Aussage, für ein Missgeschick oder einen nicht verhüllten Körper schämen. Das ist meist kaum zu übersehen: Die Wangen werden rot oder das Gesicht wirkt blass, Schweißperlen stehen uns auf der Stirn, wir zittern oder haben Tränen in den Augen.

Schämen in der Pflege ist absolut erlaubt

Wer pflegebedürftig ist, gibt häufig mehr von sich Preis, als er eigentlich möchte. Die weitverbreiteten gesellschaftlichen Normen können beim Pflegebedarf meist nicht mehr problemlos eingehalten werden. Ein Beispiel: Der Postbote möchte ein Paket für den Nachbarn gegenüber bei einer demenzkranken Person hinterlegen – auf die Frage hin, ob diese das Paket später dort abgeben könnte, fühlt sich der Mensch ertappt, schließlich weiß er nicht, von wem hier überhaupt die Rede ist.

Besonders häufig kommt in der Pflege aber die körperbezogene Scham vor – wer aufgrund der Pflegebedürftigkeit nicht imstande ist, die Körperpflege selbst durchzuführen, muss seine natürlichen Grenzen öffnen, und sich dabei helfen lassen. Die Einsicht, dass es nicht anders geht, bedeutet aber nicht, dass sich nicht trotzdem ein Schamgefühl einstellt. Doch Scham ist nicht zwangsweise eine Einbahnstraße – so können pflegebedürftige Menschen und Pflegende in einer Situation gleichermaßen beschämt sein. Womöglich dann, wenn die Tochter ihrem pflegebedürftigen Vater auf einmal nach dem Toilettengang die Rückseite abwischen „muss“. Das Problem: Beziehungen können unter schambelasteten Situationen leiden, sie entfernen Menschen voneinander und verunsichern. Zunächst ist deshalb folgende Erkenntnis wichtig: Scham ist ein natürliches Gefühl, dass nicht verschwiegen oder „weggedrückt“ werden muss.

Pflegen Sie die Schamgrenzen: Offen und einfühlsam

Die natürlichen Schamgrenzen sind nicht festgefahren – deshalb schämen sich Menschen auch nicht alle gleich stark und für die gleichen Dinge. Für die Pflege ist das eine gute Nachricht, denn so haben Sie die Gelegenheit, Schamgrenzen in einem gewissen Rahmen zu verlagern. Wenn Ihr Angehöriger Situationen, zum Beispiel den begleiteten Toilettengang, akzeptiert und sich bewusst von negativen Gefühlen abgrenzt, kann das gelingen – das Gleiche gilt natürlich auch für Sie. Türöffner sind offene Gespräche: Bemerken Sie, dass sich Ihr Angehöriger in einer Pflegesituation schämt, sprechen Sie das ganz offen an. Anstatt zu sagen: „Du brauchst dich nicht schämen“ und damit das Schamgefühl herunterzuspielen, können Sie Folgendes sagen: „Ich sehe, dir ist das unangenehm, was würde dir jetzt helfen?“ So könnten Sie gemeinsam ein Regelwerk aufstellen, mit dem sich beide wohler fühlen. Am besten ist es aber, wenn Sie natürliche Grenzen wahren können, zum Beispiel, indem Sie bei der Vorbereitung und Nachbereitung helfen, Ihr Familienmitglied die Intimwaschung aber selbst durchführt – das ist übrigens auch im Sinne der aktivierenden Pflege.

Nur keine falsche Scheu, liebe Leser: Merken Sie selbst, dass Sie sich in bestimmten Pflegesituationen geradezu überwinden müssen, holen Sie einen ambulanten Pflegedienst an Bord.

Ihre Jennifer Ann

"Humorvoll, bissig, aber stets mit viel Herz für den Pflegesektor – die Kolumne von Diplom-Gesundheitsökonomin (FH) Jennifer Ann Steinort nimmt sich den wichtigen Themen in der Pflege an. "

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