
Wenn Helfende sich nicht helfen lassen
Liebe Fürsorgende und Umsorgte,
Hilfe anzunehmen, fällt schwer – zumindest mir. Geht es Ihnen auch so? Es fühlt sich oft an, als würde ich eine Schuld anhäufen, die ich niemals in gleichem Maß begleichen kann. Und ja, manchmal ist es auch der Stolz, der im Weg steht – wer gibt schon gern zu, dass eine Aufgabe zu groß wird?
Pflegende Angehörige kennen dieses Dilemma nur zu gut. Doch bei ihnen geht es oft um mehr als nur Stolz oder das Gefühl, etwas zurückzahlen zu müssen. Es geht um Rollenbilder, innere Ansprüche – und manchmal auch um tiefsitzende Ängste.
„Jeder braucht mal Hilfe, also nimm die Unterstützung doch einfach an.“ Ein Satz, der oft leicht dahin gesagt wird. Doch für Pflegepersonen klingt er fast zynisch. Denn für sie fühlt es sich an wie eine Umkehrung der Weltordnung: Sie sind doch diejenigen, die Sicherheit geben, die stark sind, die alles zusammenhalten. Wie sollen sie plötzlich die sein, die Unterstützung brauchen? Und was, wenn die angebotene Hilfe gar nicht so bedingungslos ist, wie sie scheint? Was, wenn sie abgelehnt werden?
Wenn wir ehrlich sind – und zwar gnadenlos ehrlich – erkennen viele von uns, wie oft wir uns selbst belügen. „Ich bin nicht müde“, „Ich brauche keine Pause“ oder „Das bekomme ich schon irgendwie alles unter einen Hut.“ Kommt Ihnen das bekannt vor?
Niemand kann das so gut wie ich
Hilfe anzunehmen bedeutet, Kontrolle abzugeben. Das Zepter loszulassen. Ob bei der Körperpflege, der Haushaltsführung oder den Mahlzeiten – für viele pflegende Angehörige ist allein der Gedanke daran unerträglich.
Vielleicht haben Sie Ihren Alltag über Jahre hinweg mühsam strukturiert, sich Ihre Routinen hart erarbeitet. Und dann soll plötzlich jemand Fremdes kommen und alles durcheinanderbringen? Viel zu anstrengend, dieser Person alles zu erklären. Und wer garantiert schon, dass sie es so gut macht wie Sie?
Hinzu kommt oft das Gefühl, dass jemand in die eigene Privatsphäre eindringt – nicht nur in die Ihres Angehörigen, sondern auch in Ihre. Vor allem, wenn es sich um eine professionelle Pflegekraft handelt. Vielleicht fühlen Sie sich kontrolliert oder gar bewertet. Das ist nicht leicht – das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Alle Zweifel über Bord – Schritt für Schritt voran
Hilfe anzunehmen heißt nicht, schwach zu sein. Es bedeutet, klug zu sein. Denn mit den richtigen Menschen an Ihrer Seite gewinnen Sie nicht nur Freiraum, sondern auch Stärke.
Für viele pflegende Angehörige ist ein Familienmitglied oder ein Freund nicht immer die beste Wahl. Ein außenstehender Profi kann oft die bessere Unterstützung sein – allein schon, weil keine emotionale Schuld oder Angst vor Ablehnung mitschwingt.
Das Wichtigste dabei ist Ihre innere Einstellung. Trauen Sie der Person zu, dass sie Ihre Angehörigen gut versorgt – auch wenn sie es vielleicht nicht genau so macht wie Sie. Erlauben Sie sich, Aufgaben loszulassen, Stück für Stück. Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie von heute auf morgen alle Hilfsangebote nutzen. Aber beginnen Sie irgendwo. Vertrauen Sie mir: Es fühlt sich besser an, als Sie denken – und das schlechte Gewissen wird mit der Zeit kleiner.
Hilfe hier, Unterstützung da – aber wo eigentlich?
Manchmal liegt die Zurückhaltung nicht an Stolz oder Angst, sondern schlicht an mangelndem Wissen. Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt? Wo wartet Hilfe?
Ein Besuch im Pflegestützpunkt oder ein Gespräch mit der Pflegeberatung kann oft Wunder wirken. Und es gibt so viele Angebote, die den Alltag erleichtern können! Zum Beispiel der Entlastungsbetrag, den Sie für Betreuungsangebote nutzen können. Oder ein ambulanter Pflegedienst, der Sie bei der Versorgung unterstützt.
Und wenn Sie Urlaub brauchen, gibt es die Verhinderungspflege – Ihr Familienmitglied wird versorgt, während Sie durchatmen. Das Beste daran: Viele dieser Angebote werden von der Pflegekasse bezuschusst.
Trauen Sie sich, den ersten Schritt zu machen. Es lohnt sich.
Ihre Jennifer Ann
"Humorvoll, bissig, aber stets mit viel Herz für den Pflegesektor – die Kolumne von Diplom-Gesundheitsökonomin (FH) Jennifer Ann Steinort nimmt sich den wichtigen Themen in der Pflege an. "
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