Christiane zur Nieden
Expertin für Kommunikation am Lebensende, mit Erfahrung in Allgemeinmedizin, Sterbe- und Trauerbegleitung sowie Psychotherapie.
Aktualisiert am 06.03.2025
965 mal angesehen
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Das Wichtigste in Kürze

  • Sterbefasten ist ein bewusster Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, der als Möglichkeit für einen freiwilligen, selbstbestimmten Tod genutzt wird.

  • Es handelt sich um eine rechtlich zulässige Form der Sterbehilfe, sofern die Entscheidung freiwillig und bei klarem Bewusstsein getroffen wird.

  • Eine medizinische und emotionale Begleitung ist essenziell, um mögliche Komplikationen zu vermeiden und den Prozess würdevoll zu gestalten.

  • Für Angehörige kann Sterbefasten eine Herausforderung sein – professionelle Unterstützung hilft, den Abschied besser zu verarbeiten.

So gehen Sie vor

  • Informieren und abwägen: Sammeln Sie fundierte Informationen über das Sterbefasten und besprechen Sie die Entscheidung mit medizinischen Fachleuten oder Seelsorgern.

  • Medizinische Begleitung organisieren: Stellen Sie sicher, dass Ärzte und Pflegekräfte den Prozess begleiten, um Schmerzen oder Komplikationen zu lindern.

  • Rechtliche Aspekte klären: Dokumentieren Sie den Wunsch schriftlich, z. B. in einer Patientenverfügung, um Missverständnisse zu vermeiden.

  • Unterstützung für Angehörige: Informieren Sie Ihre Familie frühzeitig und ziehen Sie professionelle Beratung oder Begleitung hinzu, etwa von Palliativdiensten.

  • Den Prozess würdevoll gestalten: Sorgen Sie für eine ruhige, angenehme Umgebung, in der der Abschied in Würde und Frieden stattfinden kann.

Sterbefasten –  Die implizite Form

Sterbefasten – Der Wunsch, selbstbestimmt sterben und seinen Qualen ein Ende machen zu dürfen. Ein Gastbeitrag von Christiane zur Nieden.

Die Tatsache, dass ein Mensch pflegebedürftig wird, wirft sein eigenes  Leben und das seiner Angehörigen völlig durcheinander. Die Pflegebedürftigkeit kann sich über Jahre oder gar Jahrzehnte hinziehen und alle Beteiligten belasten. Es gibt aber auch immer wieder Angehörige, die sich mit Liebe dieser Aufgabe widmen und denen auch keine Belastung zu viel zu sein scheint.

Aber auch Angehörige sind betroffen, bei denen die tägliche Beanspruchung ihren Tribut fordert, da sie im Laufe der Pflegezeit selbst immer hilfsbedürftiger werden.

Bei all den möglichen Konstellationen erscheint es nicht verwunderlich, dass es vorkommt, dass ein Pflegebedürftiger leidenssatt, ja lebenssatt, pflegesatt wird und den Wunsch zu sterben äußert. Eine mögliche Form: das Sterbefasten.

Implizit bedeutet, dass der Sterbenswillige einfach bei der Nahrungsaufnahme oder Getränkeanreichung seinen Kopf zur Seite richtet, den Kopf schüttelt  oder seinen Mund einfach zukneift. Ob er der Pflegeperson diese Zeichen bewusst – in der Überzeugung und Absicht, sein Leben beenden zu wollen, gibt oder ob er es mehr unbewusst macht, da sich seine Lebenskräfte aus seinem Körper verabschieden und sie keine weitere Energiezufuhr mehr brauchen, das wissen wir nicht immer.

Festzustellen bleibt aber, dass dieser Pflegebedürftige etwas mit seiner Reaktion aussagen will, nämlich: Ich will nicht mehr. Vielleicht will er heute nur nicht, da es ihm nicht gut geht oder es z.B. zu heiß ist zum Essen. Als Angehörige sollten wir die nächsten Tage immer wieder ein Essens- und Trinkangebot machen, aber seine Ablehnung, wenn er sie weiterhin „kommuniziert“, akzeptieren und ihn nicht zur Nahrungsaufnahme zwingen.

Ein Zwang gegen den Willen desjenigen erfüllt den Straftatbestand der Körperverletzung.

Der Mensch stirbt nicht, weil er nicht mehr isst oder trinkt,

sondern er isst und trinkt nicht mehr, weil er stirbt.

Dies zu akzeptieren fällt vielen Angehörigen verständlicherweise sehr schwer. An diesem Punkt angelangt, sollte sich jeder pflegende Angehörige fragen, ob er an der Stelle des Kranken sich vorstellen könnte monate- oder sogar jahrelang zu liegen und sich pflegen zu lassen. Oft hilft der Perspektivwechsel bei der Akzeptanz des Sterbewunsches.

Meine Buchempfehlung: Umgang mit Sterbefasten

Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) ist eine natürliche, selbstbestimmte Form des Sterbens. Dieses Buch soll Angehörigen helfen, die Sterbenden zu verstehen und sie auf ihrem letzten Weg liebevoll und mit Verständnis zu begleiten.

Die Autorin Christiane zur Nieden hat nicht nur ihre Mutter beim Sterbefasten begleitet. Sie stellt in diesem Buch auch andere Beispiele vor, die den Angehörigen zeigen sollen, dass sie nicht alleine mit dieser Thematik sind.

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Sterbefasten – Die explizite Form

Die explizite Form, seinen Sterbewunsch zu äußern, ist die direkte Kommunikation, wie es z.B. meine Mutter mit 88 Jahren im Jahre 2010 tat.

Meine Mutter war multimorbide und eine räumliche Veränderung ihrer Wohnsituation stand bevor. Sie konnte mit viel Hilfe bisher noch alleine in ihrer kleinen Wohnung leben, aber in ein paar Wochen hätte sie zu uns ziehen müssen oder in ein Pflegeheim, was aber niemand in der Familie wollte.

Da für sie beide Alternativen nicht in Frage kamen, bat sie meinen Mann, der Arzt ist, um eine totbringende Spritze, was dieser ablehnen musste, da das in Deutschland streng verboten ist. Als sie mich dann um eine Lösung, wie sie sterben könne, fragte, stellte ich ihr das „Sterbefasten“ vor. Also den Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, in der Absicht zu sterben. Wir haben dann explizit alles besprochen und auch ihre Beweggründe, die möglichen Probleme und Vorteile dieser Sterbeform, soweit ich sie damals durch meine jahrelangen Sterbebegleitungen schon kannte.

Meist sind die Menschen, die diesen Sterbewunsch äußern ja schon hochbetagt, das bedeutet, sie essen und trinken evtl. schon lange nicht mehr viel.

Meine Mutter, die sichtlich immer schwächer wurde, aber auch jegliche Diagnosen und Therapien in ihrem hohen Alter ablehnte, hatte die letzten Wochen schon nur noch wie ein Spatz gegessen und getrunken. So fiel ihr der Verzicht auf Nahrung und später auch auf Flüssigkeit gar nicht so schwer.

Gerald Neitzke, ein Medizinethiker aus Hannover, sagte bei einem Vortrag: Jeder Mensch hört irgendwann auf mit Essen und Trinken. Es fragt sich nur, ab wann man es „Sterbefasten“ nennt.

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Was passiert im Körper beim Sterbefasten?

Wenn der Entschluss zum Sterbefasten vom Pflegebedürftigen selbst kommt, er völlig freiwillig und selbstbestimmt geschieht, kommt es durch den Nahrungsverzicht wie beim Heilfasten zu einer körpereigenen Endorphinausschüttung, die stimmungsaufhellend, stimmungsstabilisierend und schmerzlindernd ist. Diese Tatsache verhilft, diesen Sterbeprozess, der nicht einfach ist, durchzuhalten. Nach ca. 48 Stunden ist der Hunger verschwunden und gegen den Durst muss gute und kontinuierliche Mundpflege gemacht werden.

Wenn diese Grundvoraussetzungen gegeben sind: Selbstverantwortlichkeit des Sterbewilligen (d.h. keine schwere psychische Erkrankung), Freiwilligkeit und die Tatsache, alle Für und Wider und andere Perspektiven überdacht zu haben, können der Sterbewillige und der Pflegende die verbleibende Zeit sinnvoll miteinander nutzen. Das Wissen, dass es nun wirklich dem Ende zugeht, dass diese Lebenszeit begrenzt ist, macht sie so wertvoll und bietet die Chance

  • noch einmal sich der Liebe zu vergewissern,
  • alte „Hühnchen“ zu rupfen,
  • Familiengeheimnisse zu gestehen und
  • seine Dankbarkeit auszudrücken.

Wenn diese Grundvoraussetzungen erfüllt sind, dann ist es auch kein „elendes Verhungern und Verdursten“, dann hilft die Endorphinaussschüttung, diesen Sterbeprozess sogar gut gelaunt zu meistern, vorausgesetzt es wird gute Mundpflege geleistet. Dann ähnelt dieser Sterbevorgang, auch wenn er in suizidaler Absicht begonnen wurde, einem natürlichen Sterbeprozess.

Es sollte ein Arzt mit ins Boot genommen werden, damit das Absetzen der bisherigen Tabletten besprochen und auch evtl. ein Medikament gegen auftretenden Liegeschmerz oder Unruhe verordnet werden kann.

Der Vorteil dieses bewussten Verzichts auf Essen und Trinken ist, dass dieser Prozess die erste Zeit noch gut rückgängig gemacht werden und sich der Pflegebedürftige wieder dem Leben zuwenden kann. Es gehört schon ein starker Wille und viel Durchhaltevermögen dazu, diesen Sterbeprozess zu gehen. Aber es ist im Grunde die letzte selbstbestimmte Handlung, die ein Mensch, der sonst nur noch auf Hilfe angewiesen ist, durchführen kann. Für einen Menschen mit Sterbewunsch kann dieser Schritt schwer sein und zugleich eine Befreiung bedeuten.

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Begleitung beim Sterbefasten durch die Angehörigen

Wenn der Sterbewunsch explizit geäußert wird, sollte vor dem Sterbefastenbeginn zuerst eine gute, ausführliche Kommunikation ohne Vorwürfe immer wieder Raum finden. Nur durch gute Kommunikation können Bedenken und Ängste beseitigt werden und alle Beteiligten können an einem Strang ziehen.

Ich selbst habe zwei Tage gebraucht, bis ich den Sterbewunsch meiner Mutter akzeptieren konnte. Ich habe mit ihr alles besprochen und sie hat mir ihre Beweggründe ausführlich geschildert, so dass ich ihren Entschluss gut nachvollziehen konnte. Ich weiß, dass es möglicherweise schwer ist, als seit Jahren Pflegender, den Sterbewunsch seines geliebten Angehörigen zu akzeptieren:

  • Was wird sein, wenn er nicht mehr da ist, wenn ich ihn nicht mehr pflegen muss?
  • Was wird dann aus mir?
  • Was mache ich dann, wenn meine tägliche Pflegarbeit wegfällt?
  • Falle ich dann in ein tiefes Loch?

Aber gehört zur Liebe zu einem Menschen nicht auch das Akzeptieren seines Willens und das Loslassen können.

Meiner Mutter war ihre Selbstbestimmung sehr wichtig, nachdem sie ihr Leben lang einen autoritären Ehemann hatte und sich nach dem Tod des Partners ihre Selbstbestimmung erkämpft und erarbeitet hatte. Es war ihr letzter und vielleicht auch ihr größter Wunsch an mich als Tochter, ihren Sterbewillen zu akzeptieren und sie liebevoll auf diesem letzten Weg zu begleiten. Und den habe ich ihr erfüllt, auch wenn ich sie gerne noch ein paar Jahre an meiner Seite gewusst hätte.

Sterbefasten, d.h. der Wunsch selbstbestimmt zu sterben, ist ein großes Thema mit vielen Facetten, die ich hier gar nicht alle aufführen kann.

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Essen und Trinken in der letzten Lebensphase

Auch wenn ich mich wiederhole, möchte ich diesen Satz nochmals ins Gedächtnis rufen: “Der Schwerkranke stirbt nicht, weil er nichts isst,
sondern er isst nichts, weil er stirbt!”

In der letzten Lebensphase lassen Appetit und auch Hungergefühl immer mehr nach. Die Organe stellen allmählich ihre Funktion ein. Nahrung kann nicht mehr verwertet werden und belasten eher den Organismus als ihm zu nutzen.

Manche Krebserkrankungen führen zu starker Abmagerung, dies kann auch durch hochkalorische Zusatznahrung nicht aufgehalten werden. Der Tumor hindert die anderen Körperzellen, aufgenommene Nahrung richtig zu verarbeiten.

Es soll NUR den Wünschen des Schwerkranken entsprochen werden! Dazu gehört auch, dass bestimmte Diäten wie bei Diabetes oder Lebererkrankungen nicht mehr eingehalten werden müssen. Es ist erlaubt, was schmeckt.

Künstliche Ernährung in den letzten Lebenstagen kann den Körper stark belasten. Es lagert Flüssigkeit ein, was zu Luftnot, Übelkeit und zusätzlichen Schmerzen führen kann.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Lieblingsspeisen anbieten.
  • Kleine Portionen appetitlich anrichten.
  • Breiige oder dickflüssige Speisen anbieten.
  • Eis in allen Formen: Speiseeis, Eiswürfel, auch Säfte, Cola, Tee oder Bier.
  • Flüssigkeiten tropfenweise mit kleiner Spritze oder Löffel anreichen, auch ein getränktes Läppchen zum Saugen ist möglich.
  • Ausgiebige und gründliche Mundpflege dazu eignen sich neben Wasser oder Tee auch Aromaöle oder Kokosöl.
  • Künstliche Zufuhr von Flüssigkeiten behebt nicht das Durstgefühl.
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Sterbefasten – Ergänzung zur Patientenverfügung

Damit Ärzte, Pflegepersonal und auch die Angehörigen sich nach Ihren Wünschen richten können, sollten Sie eine zusätzliche Ergänzung zur Patientenverfügung machen. Einen entsprechenden Mustertext erhalten Sie hier:

Patientenverfügung für Menschen, die sich für das Sterbefasten entschieden haben

Häufige Fragen zum Sterbefasten

Was ist Sterbefasten und warum entscheiden sich Menschen dafür?
Welche Formen des Sterbefastens gibt es und wie äußern Betroffene ihren Wunsch?
Was passiert im Körper während des Sterbefastens und wie kann der Prozess erleichtert werden?
Wie sollten Angehörige und Pflegepersonen mit dem Wunsch zum Sterbefasten umgehen?
Ist Sterbefasten legal und wie kann man diesen Wunsch in der Patientenverfügung festhalten?
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