Behindertentestament: So hat das Sozialamt keinen Zugriff auf das Vermögen Ihres Kindes

Behindertentestament: Erbe und Vorsorge für behinderte Kinder
Mit einem Behindertentestament können Sie verhindern, dass das Sozialamt Zugriff auf das Erbe Ihres Kindes hat.

Ein Testament zu verfassen, wird gerne auf die lange Bank geschoben. Sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen, ist in jungen und in älteren Jahren nicht angenehm.

Doch was, wenn ein geliebtes Familienmitglied eine Behinderung hat und besondere Fürsorge benötigt? In solchen Fällen könnte ein Behindertentestament die Lösung sein. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff? Welche Überlegungen sind zu treffen, und wie kann man sicherstellen, dass die Bedürfnisse eines behinderten Erben optimal berücksichtigt werden?

„Ich möchte, dass mein behindertes Kind erbt
und nicht der Sozialhilfeträger.“

Wird kein rechtskräftiges Behindertentestament abgeschlossen, wird das Sozialamt das Vermögen des behinderten Kindes einfordern. Wie Sie das verhindern können, lesen Sie in unserem Beitrag. Wir zeigen Ihnen nicht nur die Problematiken auf, sondern bieten Ihnen praktikable Lösungsvorschläge.

Fachbeitrag von Jürgen Greß
Fachanwalt für Sozialrecht
Spezialisiert unter anderem auf die Beratung zum Behindertentestament.

Was ist ein Behindertentestament?

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Ein Behindertentestament ist eine letztwillige Verfügung, die die Erbfolge zugunsten eines behinderten Menschen regelt. Das Besondere daran ist, dass mindestens ein Erbe eine Behinderung hat, trotzdem aber auch alle anderen Erben ohne Behinderung in dem Behindertentestament mit aufgenommen werden können.

Ein Beispiel dazu: Familie Obermaier hat ein behindertes Kind und ein nicht behindertes Kind. Familie Obermaier lässt ein Behindertentestament erstellen, indem beide Kinder berücksichtigt sind – speziell aber auch die Regelung für das behinderte Kind. Es werden also keine zwei Testamente angefertigt, sondern nur eins.

Was ist der Sinn eines Behindertentestaments

Gerade bei Menschen mit festgestellten Behinderung Behinderung reichen häufig die Leistungen aus der Pflegeversicherung (der Pflegegrade 1 – 5) nicht aus und sie sind auf staatliche Hilfen wie z.B. Leistungen die Grundsicherung für den Lebensunterhalt, Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege usw. angewiesen. Wer aber staatliche Hilfe beansprucht, darf nahezu kein Vermögen haben oder durch ein Erbe erlangen. Denn zuerst muss das eigene Vermögen aufgebraucht werden, bevor der Staat einspringt. Das bedeutet, dass zuerst die eigenen Einkünfte und (auch ererbtes) Vermögen einzusetzen und zu verbrauchen sind.

Viele Eltern von behinderten Kindern möchten aber gerade das nicht. Sie haben Angst, dass ihr mühsam erspartes Vermögen von der Sozialhilfe eingefordert wird. Der verständliche Wunsch der Eltern ist aber, dass ihr Kind mit dem vererbten Vermögen gewisse Vorteile und Erleichterungen hat, dass es ein gutes Leben hat und optimal versorgt und betreut wird, ohne Rücksicht auf die Kosten nehmen zu müssen.

Das Problem: Wie können Sie nun Ihr behindertes Kind optimal absichern? Wenn Sie Ihrem Kind nichts oder nur wenig vererben, sollten Sie bedenken, dass es genauso wie jeder andere Erbe einen Pflichtteilsanspruch hat, der vom Sozialhilfeträger eingezogen werden kann. Außerdem möchten Sie ja, dass Ihr Kind mit dem ererbten Vermögen seinen Lebensstandard halten oder verbessern kann.

Eine Lösung: Mit einem Behindertentestament können Sie legal verhindern, dass das Erbe von der Sozialhilfe eingefordert wird. Ihr Kind kann somit lebenslang aus seinem Erbe finanziell unterstützt werden, womit die über das reine Existenzminimum hinausgehende Lebensqualität gesichert ist.

Fazit: Ein Behindertentestament kann also dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderung auch nach dem Tod ihrer Eltern oder anderer Erblasser ihren Lebensstandard halten können und gut versorgt sind.

Warum ist ein Behindertentestament so wichtig?

Ohne die Sicherheit eines Behindertentestaments bekommt das Kind mit Behinderung bei Tod der Eltern (ungeschützt) seinen gesetzlichen Erbanteil – oder zumindest seinen Pflichtanteil, wenn es enterbt wird. Das erhaltene Erbe oder den Pflichtteil müsste das Kind dann zunächst für Kosten wie Heimunterbringung oder betreutes Wohnen verwenden, bis der Freibetrag von € 10.000 bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung zur Deckung der Lebenshaltungskosten erreicht ist. Auch für Leistungen zur Eingliederungshilfe und Pflege müssten bis zu € 61.110 (Stand 2023) aufgebraucht werden, bevor wieder der Sozialhilfeträger die Kosten übernimmt. Danach hätte das Kind nur noch einen begrenzten monatlichen Barbetrag für persönliche Bedürfnisse zur Verfügung.

Zusammenfassend gesagt, gibt es wichtige Gründe, um ein Behindertentestament zu verfassen:

  • Bedarfsgerechte Versorgung: Ein Behindertentestament stellt sicher, dass die geerbten finanziellen Mittel für die persönlichen Bedürfnisse eines behinderten Erben optimal genutzt werden, insbesondere zusätzlich zu den Leistungen der Sozialhilfe.
  • Vermeidung von Vermögensverlust: Durch klare Regelungen im Testament kann vermieden werden, dass das Vermögen des behinderten Erben vom Sozialhilfeträger eingefordert wird.
  • Auswahl vertrauenswürdiger Verwalter: Das Testament ermöglicht die Festlegung von Testamentsvollstreckern oder Betreuern, um sicherzustellen, dass das Erbe im Sinne des behinderten Erben von vertrauenswürdigen Personen verwaltet wird.
  • Rechtliche Klarheit: Ein Behindertentestament bietet rechtliche Klarheit und schützt vor Unsicherheiten bei der Erbabwicklung zwischen den Erben.




Was sind die Vorteile des Behindertentestaments?

Mit dem Behindertentestament haben Sie u. a. die folgenden konkreten Vorteile:

  • Die Zukunft des behinderten Kindes für die Zeit nach dem Versterben der Eltern ist geregelt und abgesichert.
  • Der gewünschte Lebensstandard des Kindes wird sichergestellt. Leistungseinschränkungen durch zukünftig eventuell reduzierte Sozialleistungen können ausgeglichen werden. Das behinderte Kind kann das Geld ausschließlich für seine persönlichen Bedürfnisse, wie Hobbys und Urlaubsreisen, nicht erstattungsfähige ärztliche Therapien, Hilfsmittel oder Zahnersatz verwenden.
  • Ihr Kind muss nicht von Taschengeldzahlungen des Sozialamtes leben, das im Jahr 2023 unter 150 Euro pro Monat lag.
  • Zahlungen aus dem Erb- oder Pflichtteil an den Sozialhilfeträger werden vermieden.
  • Finanzielle Belastungen des überlebenden Ehegatten werden verringert.
  • Keine Auseinandersetzungen mit dem Sozialhilfeträger um den Pflichtteil des Kindes.
  • Vermeidung von Streitigkeiten zwischen den übrigen Erben.

Erbeinsetzung als Vorerbe und Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung

In der Regel errichten Ehegatten ein „Berliner Testament“. Die Ehegatten setzen sich dabei gegenseitig als alleinige Erben ein. Bei einem Behindertentestament ist das anders. Neben dem Ehegatten wird auch das behinderte Kind als Erbe eingesetzt. Das bedeutet:

  • Bei einem klassischen Behindertentestament wird zusätzlich über die Erbeinsetzung des behinderten Kindes verfügt, und zwar bereits zum Zeitpunkt des Versterbens eines Elternteils.
  • Das behinderte Kind wird zum Vorerben eingesetzt.
  • Der Erbteil des behinderten Kindes muss deutlich über dem gesetzlichen Pflichtteil liegen.
  • Das Erbe des Kindes (Vorerben) ist zeitlich auf seine eigene Lebenszeit begrenzt.
  • Verstirbt das behinderte Kind, geht sein Vermögen direkt an die von den Eltern testamentarisch bestimmen Nacherben.
  • Das Sozialamt hat auch hier keinerlei Zugriff auf das hinterlassene Erbe des behinderten Kindes.
  • Nacherben beim Tod des behinderten Menschen sind in der Regel seine Abkömmlinge, Geschwister, andere Verwandte oder auch testamentarisch gemeinnützige Organisationen.
  • Um zu vermeiden, dass das Sozialamt Zugriff auf das Erbe oder den Pflichtteil hat, ist die Erbeinsetzung als Erbe erforderlich.
  • Der Pflichtteilsanspruch entsteht mit dem Erbfall, wenn das behinderte Kind enterbt wird oder weniger erbt als den Wert seines Pflichtteils. Die Höhe des Pflichtteils beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Der Erbteil des behinderten Kindes kann – im Gegensatz zum Pflichtteil – durch die Anordnung von Vorerbschaft und Testamentsvollstreckung „geschützt“ werden.
  • Um den Zugriff des Sozialhilfeträgers zu Lebzeiten des Kindes zu vermeiden, muss zusätzlich zur Einsetzung als Vorerben eine (Dauer-)-Testamentsvollstreckung bis zum Tod des behinderten Kindes angeordnet werden

 

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Was ist ein Testamentsvollstrecker und was macht er?

Ein Testamentsvollstrecker ist eine Person oder Institution, die dafür verantwortlich ist, die Anweisungen im Testament umzusetzen. Bei der Verwaltung des Testaments ist folgendes zu beachten:

  • Der Testamentsvollstrecker ist der alleinige und ausschließliche Vermögensverwalter des geerbten Vermögens. Nur er ist befugt, über das Vermögen zu verfügen.
  • Der Testamentsvollstrecker hat die testamentarischen Anordnungen der verstorbenen Eltern zu beachten.
  • Auf das Erbe haben weder das Kind selbst, ein eventueller (gesetzlicher) Betreuer noch der Sozialhilfeträger eine Zugriffsmöglichkeiten.
  • Im Behindertentestament muss die exakte Regelung der Aufgaben des Testamentsvollstreckers verankert sein, um zu verhindern, dass der Sozialhilfeträger Zugriff bekommt.
  • Der Testamentsvollstrecker wird verpflichtet, das Erbe ausschließlich für (persönliche) Zwecke, z. B. Urlaub, Freizeit, besondere Therapien, Zahnersatz und Hilfsmittel, die unter die Regelungen des sozialhilferechtlich geschützten Vermögens fallen, zukommen zu lassen. Die bereits über Sozialhilfeleistungen abgedeckten Kosten des allgemeinen Lebensunterhaltes und die Pflege- und Betreuungskosten des Kindes darf er nicht finanzieren, da andernfalls Leistungen des Testamentsvollstreckers auf Sozialhilfeleistungen angerechnet werden könnten.
  • Weiter empfiehlt sich, ausdrücklich festzulegen, dass der Testamentsvollstrecker evtl. entstehende Kosten im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Betreuung für das Kind nicht übernehmen darf. Andernfalls könnte ein Betreuungsgericht diese Kosten vom Testamentsvollstrecker verlangen.
  • Häufig wird in einem Behindertentestament vorgesehen, dass der Testamentsvollstrecker die Substanz des geerbten Vermögens nicht verbrauchen darf, sondern nur die Erträge aus dem Erbe wie z.B. Mieteinnahmen, Zinseinnahmen usw. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die geringe Verzinsung von Geldanlagen oft nicht ausreicht, um dem Kind einen angemessenen Lebensstandard zu bieten. Für solche Situationen ist es sinnvoll, eine Regelung in das Testament aufzunehmen, dass erforderlichenfalls auch die Erbsubstanz selbst für den Behinderten zweckgebunden verwendet werden darf.
  • Es ist wichtig, dass die Eltern jemanden als Testamentsvollstrecker auswählen, der eine besondere Verbindung zum Kind hat. Denn der Testamentsvollstrecker muss nicht unbedingt das Amt übernehmen, wenn die Eltern versterben. Er kann es ablehnen oder zu einem späteren Zeitpunkt zurücktreten. Deshalb ist es ratsam, im Voraus mit den vorgesehenen Testamentsvollstreckern zu sprechen und herauszufinden, ob sie das Amt übernehmen möchten und unter welchen Bedingungen. Es wäre ideal, dies auch mit dem Kind zu besprechen, wenn möglich. Das Kind könnte sogar, wenn es alt genug ist, selbst eine vertraute Person als Testamentsvollstrecker auswählen. Für den Fall, dass der ausgewählte Testamentsvollstrecker das Amt nicht übernehmen kann oder ablehnt, ist es klug, zusätzliche Personen als Ersatztestamentsvollstrecker zu benennen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Testamentsvollstreckung während des gesamten Lebens des Kindes gewährleistet ist.

Was sollte beim Behindertentestament sonst noch beachtet werden?

Die Erstellung eines Behindertentestaments erfordert besondere Überlegungen, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse und die finanzielle Sicherheit einer Person mit Behinderungen angemessen berücksichtigt werden. Neben der Ernennung eines Testamentsvollstreckers und der finanziellen Absicherung gibt es weitere wichtige Aspekte, die bei der Planung beachtet werden sollten.

Betreuervorschlag. Die Eltern können im Testament jemanden als Betreuer vorschlagen, regelmäßig eine Person, der sie vertrauen. Der Betreuer soll sich nach ihrem Tod um den Familienangehörigen mit Behinderung kümmern. Diese Person sollte idealerweise nicht dieselbe sein wie die, die als Testamentsvollstrecker bestimmt wird.

Sicherheitsklausel – Schenkungen und sonstige unentgeltliche Vermögensübertragungen: Schenkungen oder sonstige Vermögensübertragungen der Eltern an ihre nicht behinderten Kinder, andere dritte Personen oder Lebensversicherungen könnten das Behindertentestament gefährden. Das liegt daran, dass Pflichtteilsergänzungsansprüche entstehen könnten, die möglicherweise den Wert der im Testament festgelegten Erbteile übersteigen.

Um sicherzustellen, dass der Wert des Erbteils der Person mit Behinderung nicht unter den Wert ihrer Pflichtteilsansprüche fällt, ist es ratsam, eine “Sicherheitsklausel” aufzunehmen, um zu verhindern, dass der Sozialhilfeträger auch nicht auf einen Restpflichtteil zugreifen kann.

Es ist wichtig, die Möglichkeiten einer solchen Klausel ausführlich mit dem Notar oder Rechtsanwalt zu besprechen, der mit der Erstellung des Behindertentestaments beauftragt ist.


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Testamentsformen

Ein Testament muss bestimmte Normen einhalten. Dazu gehören:

  • Das Testament muss vollständig mit der Hand geschrieben werden.
  • Das Verwenden einer Schreibmaschine oder eines PC genügt nicht.
  • Der Testamentstext ist mit der Nennung des Ortes, des Datums und der eigenen Unterschrift abzuschließen.
  • Beim gemeinschaftlichen Testament ist es ausreichend, wenn ein Ehegatte das Testament abschreibt und beide Ehegatten mit Ort, Datum und ihrer eigenhändigen Unterschrift unterschreiben.
  • Möglich ist jedoch auch die Errichtung eines öffentlichen (notariellen) Testaments vor einem Notar.
  • Das Testament kann zu Hause oder beim Amtsgericht bzw. Nachlassgericht gegen eine Hinterlegungsgebühr in die amtliche Verwahrung gegeben werden.

Wird ein Testament vom Notar erstellt, ist es natürlich nicht von Hand geschrieben. Dafür ist es notariell beglaubigt.  

Wie und bei wem können Eltern ein Behindertentestament errichten?

Das Erstellen eines Behindertentestaments ist eine komplexe Aufgabe im Bereich des Erbrechts. Es gibt kein “Standard-Behindertentestament”, da die Regelungen immer an die spezifischen Vermögensverhältnisse, familiäre Situationen und vor allem die Wünsche der Beteiligten angepasst sein müssen.
Für Eltern ohne juristische Fachkenntnisse ist es fast unmöglich, ein wirksames und vor Angriffen durch den Sozialhilfeträger geschütztes Behindertentestament zu erstellen. Vorlagen und Anleitungen, die oft im Internet zu finden sind, können unvollständig oder fehlerhaft sein. Daher ist es ratsam, sich von einem Anwalt oder Notar beraten zu lassen, um ein individuell angepasstes Behindertentestament zu erstellen.
Es ist wichtig, dass Eltern, die sich für ein Behindertentestament interessieren, Rat von einem Anwalt oder Notar einholen, der sich sowohl im Behinderten- und Sozialhilferecht als auch im Erbrecht auskennt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die getroffenen Regelungen vor Gericht nicht bestehen bleiben und der Sozialhilfeträger Anspruch auf das Erbe erheben kann.
Es ist entscheidend, dass das Behindertentestament auf die familiären Verhältnisse und die speziellen Bedürfnisse des jeweiligen behinderten Kindes zugeschnitten ist. Darüber hinaus sollten die Bedürfnisse und Wünsche der Geschwister des behinderten Kindes sowie anderen nahen Angehörigen berücksichtigt werden, um den Zusammenhalt der Familie nach dem Tod der Eltern zu gewährleisten. Daher sollten Eltern sicherstellen, dass der ausgewählte Anwalt oder Notar Erfahrung mit den besonderen Lebenssituationen von Familien mit behinderten Angehörigen hat.
Es wäre hilfreich, wenn die Eltern, nachdem das Testament fertiggestellt ist, sich bei dem Anwalt oder Notar, der das Testament erstellt hat, nach möglichen Änderungen in den Gesetzen erkundigen könnten und wie sich diese auf das Behindertentestament auswirken könnten.

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Alternative: Schenkungen zu Lebzeiten

Als Alternative zum Behindertentestament, könnten Sie auch schon zu Lebzeiten Schenkungen an Ihre nicht behinderten Kinder machen. Das hätte jedoch folgende Auswirkungen:

  • Sie könnten damit den Erb- oder Pflichtteil Ihres behinderten Kindes verringern.
  • Im Hinblick auf die Forderungen des Sozialhilfeträgers ist das sinnvoll, aber: Sie erreichen genau das Gegenteil von dem, was Sie wollten. Denn Sie sichern dadurch Ihr behindertes Kind finanziell NICHT ab.
  • Ein weiteres Risiko ist, wenn Sie innerhalb von 10 Jahren nach dem Schenkungszeitpunkt versterben. Dann erhält Ihr behindertes Kind nachträglich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dieser wäre nicht vor dem Zugriff des Sozialhilfeträger geschützt.
  • Außerdem haben Sie noch ein ganz persönliches Risiko. Unter Umständen haben Sie durch die Schenkung für Ihren persönlichen Lebensunterhalt und Ihre Altersversorgung nicht mehr genügend Geld zur Verfügung und wären damit auf das Wohlwollen Ihrer beschenkten Kinder angewiesen. Schlecht, wenn diese das Vermögen bereits ausgegeben haben.

Was ist ein Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Wenn jemand stirbt, haben bestimmte Personen ein Recht auf einen Teil seines Nachlasses. Diese Personen nennt man Pflichtteilsberechtigte. Wenn der Erblasser vor seinem Tod einem anderen Menschen Geld oder Vermögen geschenkt hat, kann das den Pflichtteil des Pflichtteilsberechtigten verringern.

Hier klicken und mehr zum Pflichtteilsergänzungsanspruch erfahren

Um das zu verhindern, gibt es den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dieser Anspruch besagt, dass der Pflichtteilsberechtigte aufgrund der Schenkung noch zusätzlich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch – unter Umständen auch gegen den Beschenkten – besitzt.

Wie wirkt sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch aus?

In Zahlen formuliert, sieht der Pflichtteilsergänzungsanspruch so aus:

  • Angenommen, Sie versterben innerhalb von 10 Jahren nach dem Schenkungszeitpunkt, erhält das behinderte Kind über den Pflichtteilsergänzungsanspruch nachträglich noch einen Anteil an den Schenkungen an das nicht behinderte Kind (abgestuft nach der Zeitdauer; je vergangenem Jahr reduziert sich der Wert der anzurechnenden Schenkung um 10 %).
  • Bei zwei Kindern wäre dies beim Versterben des ersten Elternteils ein Anteil von 1/8 des Schenkungswertes und
  • beim Versterben des letzten Elternteils ein Anteil von 1/4, auf den dann der Sozialhilfeträger zugreifen könnte.

Fazit zur Schenkung zu Lebzeiten: Aufgrund der eindeutigen Nachteile und Risiken ist die Lösung mit der Schenkung nicht empfehlenswert.

Checkliste zur Überprüfung des eigenen Behindertentestamentes

Die folgenden Hinweise sollen Eltern dabei helfen, ein vorhandenes Behindertentestament zu überprüfen und festzustellen, ob zumindest die wichtigsten Regelungen enthalten sind. Wenn Sie bei der Überprüfung der Checkliste feststellen, dass einige Punkte nicht oder nur ungenau geregelt sind, wäre es ratsam, das Testament sicherheitshalber zu überarbeiten. Für eine umfassende und verbindliche Überprüfung sowie Überarbeitung des Testaments wird dringend empfohlen, einen erfahrenen Anwalt oder Notar zu konsultieren.

  • Ist das behinderte Kind sowohl für den Erbfall nach dem erstversterbenden Elternteil als auch für den Schlusserbfall (Versterben des zweiten Elternteils oder auch gleichzeitiges Versterben) als Erbe eingesetzt? Fehlt z.B. die Regelung für den Erbfall, hätte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, den Pflichtteil des Kindes einzufordern.
  • Ist der Erbteil des behinderten Kindes höher als sein Pflichtteil? Wurden der Güterstand der Eltern bzw. lebenslange Zuwendungen oder Schenkungen der Eltern bei der Bestimmung der Höhe der Erbquote des behinderten Kindes richtig berücksichtigt? Wenn den nicht behinderten Kindern bereits zu Lebzeiten Geschenke gemacht wurden, könnte dies dazu führen, dass die Pflichtteilsansprüche des behinderten Kindes höher sind als der im Testament festgelegte Anteil. In einem solchen Fall könnte der Sozialhilfeträger zumindest einen Restpflichtteil oder Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen.
  • Wurde Immobilienbesitz im Ausland oder eine ausländische Staatsangehörigkeit der Eltern berücksichtigt?
  • Ist das behinderte Kind als Vorerbe eingesetzt? Gibt es Regelungen für den Fall seines vorzeitigen Todes? Wurden dazu Nacherben und Ersatznacherben eingesetzt, die das behinderte Kind beerben.
  • Gibt es eine Regelung für den Fall, dass das behinderte Kind vor den Eltern stirbt?
  • Ist festgelegt, ob der überlebende Ehepartner nach Versterben des ersten Ehegatten das Testament ändern darf?
  • Gibt es eine klare Anweisung zur Aufteilung des Erbes (Teilungsanordnung), angepasst an die familiären und finanziellen Verhältnisse? Wurde dabei berücksichtigt, in welcher Form das behinderte Kind seinen Erbteil erhält (z.B. als Immobilienanteil oder Bargeld.) Mit dieser Regelung kann ein unter Umständen langwieriger Erbstreit der Erbengemeinschaft vermieden werden.
  • Wurde lebenslange Dauer-Testamentsvollstreckung sowohl für den Erbfall nach dem erstversterbenden Elternteil als auch für den Schlusserbfall angeordnet?
  • Sind die (sozialhilferechtlich nicht angreifbaren) Zwecke und Modalitäten festgelegt, nach denen der Testamentsvollstrecker die Erträge des behinderten Kindes verwenden soll? Sonst besteht auch hier wieder die Gefahr, dass der Sozialhilfeträger Zugriff auf das Vermögen bekommt. Sind Kosten für eine rechtliche Betreuung ausgeschlossen?
  • Gibt es eine Regelung, die es dem behinderten Kind ermöglicht, nicht nur auf die Erträge seines Vorerbes zuzugreifen, sondern zusätzlich auch auf den Stamm seiner Erbschaft?
  • Sind ausreichend Testamentsvollstrecker und Ersatztestamentsvollstrecker benannt und ihre Vergütung festgelegt?
  • Gibt es Vorschläge für den Fall, dass eine Betreuung für das Kind erforderlich ist? Ist für ein minderjähriges Kind ein Vormund gemäß § 1776 Abs. 1 BGB benannt? Sind Testamentsvollstrecker und Betreuer unterschiedliche Personen?
  • Besteht vorsorglich für den Fall, dass die Erbeinsetzung des behinderten Kindes als Vorerbe (evtl. aufgrund Sittenwidrigkeit) unwirksam sein sollte, eine Ersatzerbeneinsetzung, wonach das behinderte Kind nur seinen Pflichtteil erhält?
  • Wenn eine Behinderteneinrichtung als Nacherbe eingesetzt ist, wurde das Verbot des Art. 8 PfleWoqG – Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (ehemals Art. 14 HeimG) beachtet? Jegliche faktische Verbindung des Bedachten (z. B. Förderverein, Stiftung) mit dem Heimträger ist gefährlich!
  • Sind geeignete Regelungen getroffen, um Erbschaftssteuerfreibeträge zu nutzen oder die Erbschaftssteuerbelastung der Hinterbliebenen zu minimieren?

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Fazit zum Behindertentestament

Wie Sie aus den obigen Ausführungen ersehen können, ist beim Behindertentestament viel zu beachten, wenn es darum geht, dem Sozialhilfeträger den Zugriff auf das Vermögen des behinderten Kindes zu verwehren.

  • Das Behindertentestament ist die wirksamste – und aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung – sicherste Möglichkeit zur Versorgung und Absicherung von behinderten Familienangehörigen!
  • In seinem Urteil vom 19.01.2011 (Az.: IV ZR 7/10) hat der Bundesgerichtshof (BGH) seine bisherige Rechtsprechung zur Wirksamkeit des so genannten „Behindertentestamentes“ noch einmal bekräftigt. Den in der Vergangenheit immer wieder erhobenen Vorwurf der angeblichen Sittenwidrigkeit eines solchen Testamentes weist der BGH in seiner neuen Entscheidung erneut zurück.
  • Wie bereits in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1993 zum „Behindertentestament“ (Urteil vom 20.10.1993, Az: IV ZR 231/92, in: NJW 1994, Seite 248 ff) stellt der BGH in seinem Urteil vom 19.01.2011 noch einmal ausdrücklich fest: Die Eltern eines behinderten Kindes können in ihrem Testament eine Vor- und Nacherbschaft sowie eine mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehene Dauertestamentsvollstreckung anordnen, um ihrem Kind eine über das sozialhilferechtlich gesicherte reine Existenzminimum hinausgehende Lebensqualität zu sichern. Dies sei grundsätzlich nicht sittenwidrig, auch wenn damit der Zugriff der Sozialhilfeträger auf dieses Erbe ausgeschlossen wird. Vielmehr sei dies „Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus,“ so der BGH.
  • Der BGH gesteht damit den Eltern ausdrücklich die Möglichkeit zu, das Erbe ihres behinderten Kindes über ein Behindertentestament vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers bzw. des Staates zu schützen. Die Errichtung eines Behindertentestamentes zur Versorgung und Absicherung des Kindes mit Behinderung ist daher sehr empfehlenswert.

Fragen und Antworten zum Behindertentestament

Wer kann ein Behindertentestament errichten?

Ein Behindertentestament kann von jeder Person errichtet werden, die volljährig und geschäftsfähig ist. Da es aber sehr umfangreich ist und vieles beachtet werden muss, empfiehlt es sich, dass das Behindertentestament von einem Notar oder Rechtsanwalt erstellt wird, der auf Sozial- und Erbrecht – speziell für Familien mit behinderten Kindern – spezialisiert ist.

Wie sollte die rechtliche Vorsorge für eine behinderte Person getroffen werden?

Neben einem Behindertentestament sollte auch eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung erstellt werden. Dies ermöglicht es, im Voraus festzulegen, wer Entscheidungen in rechtlichen und medizinischen Angelegenheiten für die behinderte Person treffen soll, falls sie selbst dazu nicht in der Lage ist.

Was kostet ein Behindertentestament?

Die Kosten für die Erstellung eines Behindertentestaments richten sich im Allgemeinen nach dem Wert des zu vererbenden Vermögens und nach dem konkreten Aufwand. Vor der Beauftragung eines Rechtsanwalts oder Notars sollten sich Eltern einen verbindlichen Kostenvoranschlag geben lassen, um keine Überraschungen bei der späteren Abrechnung zu erleben.

Gibt es Vordrucke oder Muster für ein Behindertentestament?

Im Internet gibt es durchaus Muster, Vorlagen oder Beispiele für ein Behindertentestament. Allerdings ist gerade ein Behindertentestament eine ganz individuelle – auf die besonderen Umstände einer Familie mit einem behinderten Kind – zugeschnittene Herausforderung. Wer hier auf Vordrucke oder Muster zurückgreift, riskiert damit, dass das Kind und die Nacherben unter Umständen nicht so versorgt werden, wie Sie sich das als Erblasser vorstellen. Das Risiko, dass letztendlich das Sozialamt Zugriff auf das Erbe hat, ist sehr groß.

Welche Regelungen sind in einem Behindertentestament enthalten?

In einem Behindertentestament müssen folgende Regelungen enthalten sein:
1. Die Bestimmung des behinderten Kindes als Vorerben und die Bestimmung der Nacherben.
2. Die Bestimmung des Verwendungszwecks des Erbes.
3. Die Bestimmung eines Testamentsvollstreckers.

Was ist ein Vorerbe und was ist ein Nacherbe?

Vorerbe und Nacherbe sind Begriffe, die im Kontext eines Behindertentestaments verwendet werden können.
Vorerbe: Im Behindertentestament ist der Vorerbe regelmäßig das behinderte Kind. In der Regel wird jedoch das Vorerbe von einem Testamentsvollstrecker verwaltet.
Nacherbe: Stirbt der Vorerbe, fällt das verbleibende Vermögen an den testamentarisch festgelegten Nacherben, z.B. an die Nachkommen oder Geschwister.

Wieviel darf ich als Empfänger von Grundsicherungsleistungen erben?

Wer Grundsicherung erhält, darf seit dem 01.01.2023 maximal10.000 Euro erben, falls sonst kein Vermögen vorhanden ist, ohne dass das Erbe auf die Grundsicherung angerechnet wird.
Um zu verhindern, dass bei behinderten Kindern der Sozialhilfeträger Zugriff auf das den Betrag von 10.000 Euro übersteigende Erbe hat, sollten Sie unbedingt ein Behindertentestament abschließen.

Kann man Kinder enterben?

Man kann seine (behinderten) Kinder enterben, allerdings steht ihnen dann ein Pflichtteil zu. Der Pflichtteil entspricht 50 % des gesetzlichen Erbteils.
Bei einem gesetzlichen Erbteil von 100.000 Euro beträgt der Pflichtteil für das enterbte Kind noch 50.000 Euro.

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2 Antworten auf „Behindertentestament: So hat das Sozialamt keinen Zugriff auf das Vermögen Ihres Kindes“

Am Ende des Beitrags ist die Autorenvorstellung, dort wird auch auf die Kanzlei HGRS verlinkt.

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